Der Teig ist das Fundament für einen guten Ofentrieb. Das leuchtet intuitiv irgendwie ein. Vielleicht, weil der Teig einfach der erste Schritt beim Brotbacken ist.
Aber wieso ist der Teig eigentlich so wichtig?
Machen wir einen kurzen Sprung zurück in den ersten Teil zu den Grundlagen.
1. Die Basis für einen guten Ofentrieb (und damit für gutes Brot) sind zum einen möglichst viele Gasbläschen im Teig (Gärgase) sowie ein stabiles Klebernetzwerk, das diese Gasbläschen im Teig hält.
2. Weil die Enzyme am Klebernetzwerk knabbern, müssen wir das Brot an dem Zeitpunkt backen, an dem der Teig einerseits optimal Gärgase gebildet hat und andererseits das Glutennetzwerk noch stark genug ist, um diese Gärgase stabil zu halten.
Und hier kommt der Teig über folgende Faktoren ins Spiel:
- Das Mehl
Die Menge und die Qualität des Glutens im Mehl bestimmen, wie stark das Klebernetzwerk potenziell werden kann und wie lange es den Enzymen Widerstand leisten kann - Der Wasseranteil
Je höher der Wasseranteil im Teig ist, desto schwieriger wird es, dem Teig Struktur und Spannung zu verleihen. Das bedeutet: je höher der Wasseranteil im Teig ist, desto schwieriger wird es für den Ofentrieb - Die Autolyse
Wenn man Mehl und Wasser mischt, verquellen die Bestandteile – ohne, dass wir etwas dazu beitragen müssten. Das hat jede Menge Vorteile - Der Sauerteig
Ein guter Ofentrieb erfordert einen aktiven Sauerteig. Ist der Sauerteig schlapp, bleibt der Ofentrieb mau - Den Brotteig kneten
Im Idealfall ist das Glutennetzwerk nach dem Kneten perfekt ausgebildet. Ist der Teig unterknetet, kann sich das Glutennetzwerk während der Gare möglicherweise weiter ausbilden – vorausgesetzt, es hat genug Zeit. Ist der Teig überknetet, gibt es keine Rettung
Die Faktoren im Detail
1 Das Mehl
Auch die Wahl des Mehles bestimmt den Ofentrieb. Und zwar auf zwei Ebenen:
1.1 Je höher der Ausmahlungsgrad des Mehles, desto geringer der Ofentrieb
Das bedeutet: mit 550er Weizenmehl kann man einen besseren Ofentrieb erreichen als mit 1050er Weizenmehl und mit 1050er Weizenmehl ist der Ofentrieb potenziell besser als mit Weizenvollkornmehl.
Warum das?
Bei einem höheren Ausmahlungsgrad “stören” der höhere Anteil von Schalenteilen sowie die schlechtere Eiweißqualität (Backtechnisch gesehen) der Randschichten die Vernetzung des “guten” Klebereiweißes. Die Gasbläschen, die das spätere Volumen ausmachen, können schlechter gebildet werden.
Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass Ihr nicht mit Vollkornmehl backen sollt – ganz im Gegenteil: Vollkornmehl ist nicht nur gesund sondern auch geschmacklich eine riesige Bereicherung für das Brotbacken. Ihr solltet nur Eure Erwartungen anpassen: ein Brot mit 50% Anteil Vollkornmehl wird nicht so “hoch gehen” wie ein Brot mit 100% 550er Weizenmehl.
1.2 Je höher der Glutengehalt, desto besser für den Ofentrieb
Je mehr (gutes) Gluten ein Mehl enthält, desto besser funktioniert die Verquellung der Klebereiweiße und desto besser werden die Gasbläschen, die für den späteren Ofentrieb zuständig sind, gebildet. Außerdem verschiebt man den “kritischen Punkt”, an dem die Enzyme das Klebergerüst so stark abgebaut haben, dass es die Gasbläschen nicht mehr halten kann, nach hinten.
Diesen Vorteil erkauft man sich allerdings mit einem gewissen Preis: Brote aus Mehl mit einem sehr hohen Gluten-Anteil neigen zu einer gewissen “Gummi-haftigkeit” der Krume. Dieses Problem kann man einfach umgehen, in dem man die Teig lange im Kühlschrank führt. Damit hat der Teig die Möglichkeit, ausreichend Gluten abzubauen um negative Auswirkungen auf die Textur auszuschließen.
Ein guter Hinweis auf den Glutenanteil im Mehl sind die Proteine. Auch wenn es etwas verallgemeinert ist, kommt es meistens hin: der Anteil der Proteine im Mehl sind ein guter Anhaltspunkt, um den Glutenanteil zu bestimmen [Ausnahme: Dinkelmehl].
Mehl | Proteinanteil (in %) |
550er Weizenmehl | 11 |
Backstarkes Mehl (z.B. Biomühle Eiling) | 14 |
Hartweizenmehl (Semola) | 14 |
Tipo 0 violet | 15 |
Manitoba | 15 |
Daumenregeln
- Wenn Ihr das Zeitfenster zum Backen verbreitern wollt, ersetzt einfach 20 – 40% des im Rezept angegebenen 550er oder 1050er Mehls durch ein backstarkes Mehl (s. Liste)
- Ihr könnt auch mit 100% backstarkem Mehl backen. Dann solltet Ihr aber die kalte Langzeitführung anwenden, damit die Enzyme ausreichend Zeit haben um das Gluten abzubauen
2 Der Wasseranteil
Es ist an der Zeit, mit einem Missverständnis aufzuräumen: vielfach wird in den einschlägigen Brot-Foren und Instagram-Kanälen der Eindruck erweckt, für einen tollen Ofentrieb sei eine hohe Teigausbeute, also ein hoher Wasseranteil im Teig, zwingend notwendig.
Das Gegenteil ist der Fall!
Ein hoher Wasseranteil erschwert einen guten Ofentrieb. Denn: je höher die Teigausbeute, desto schwieriger ist es, dem Teig die notwendige Spannung und Elastizität mitzugeben, die – unter anderem – für den Ofentrieb notwendig sind.
Ein hoher Wasseranteil ist nämlich nur dann notwendig, wenn man eine extrem offene Krume, die berühmt-berüchtigte “open crumb” erreichen will.
Heißt konkret: um ein guten Ofentrieb zu erreichen solltet Ihr es mit dem Wasseranteil nicht übertreiben.
3 Triebmittel
3.1 Sauerteig
Für Brote, die ausschließlich über Sauerteig geführt werden, ist die Aktivität des Sauerteiges eine der zentralen Erfolgsvoraussetzungen für einen guten Ofentrieb. Wie Ihr Euren Sauerteig fit machen könnt und wie Ihr die Fitness Eures Sauerteiges überprüfen könnt, habe ich hier ausführlich beschrieben.
Wollt Ihr Eurem – einigermaßen fitten – Sauerteig ein bisschen Unterstützung geben, so reichen 2 – 4 g frischer Hefe auf 1 Kilo Teig locker aus, um dem Ofentrieb den letzten Kick zu verpassen.
Daumenregeln
- Wenn der Sauerteig sein Volumen innerhalb von 8 Stunden bei Raumtemperatur (23 – 26 °C) verdoppelt, dann ist er ausreichend stark um ohne den Zusatz weiterer Triebmittel befriedigende Brote zu backen
- Ein richtig fitter Sauerteig kann es schaffen, sein Volumen innerhalb von 6 Stunden bei Raumtemperatur zu verdreifachen (!). Damit könnt Ihr echte Spitzenbrote backen
- Die notwendige Reifezeit des Sauerteiges ist auch vom Verhältnis Anstellgut : Mehl : Wasser abhängig. In der Regel füttere ich meine Sauerteige 1:3:3. Wenn es zügig gehen soll, nehme ich das Verhältnis 1:2:2, also z.B. 35g ASG, 70g Mehl, 70g Wasser.
3.2 Hefe
Hefe ist zuverlässig und effektiv. Aber: sie wird – im Gegensatz zum Sauerteig – industriell hergestellt. Außerdem ist sie geschmacklich dem Sauerteig unterlegen.
Wichtig ist für das Thema Ofentrieb, dass man die Menge der Hefe so knapp halten sollte wie möglich. Denn: erstens wirken sich große Mengen Hefe in einem Teig negativ auf den Geschmack aus. Und zweitens: je mehr Hefe man einsetzt, desto kleiner wird das Zeitfenster, in dem ein Teig Vollgare hat und damit backfertig ist.
Daumenregel:
- 1% Hefe im Verhältnis zum Gesamt-Teiggewicht reichen völlig aus, i.d.R. auch weniger. Das heißt: max. 10 g, besser 8 g Hefe auf 1 Kilo Teig
- Wenn Ihr zusätzlich einen einigermaßen fitten Sauerteig verwendet, könnt Ihr die Hefe bei 1 Kilo Teig auf 2 – 4 g reduzieren
4 Die Autolyse
Die Autolyse ist ein extrem wirksames Werkzeug, um die Teigqualität zu verbessern.
Wieso?
Es ist grundsätzlich ratsam, den Teig so sanft möglich und so kurz wie nötig zu kneten. Denn durch das Kneten finden im Teig Oxidationsprozesse statt, die unter anderem den Geschmack des fertigen Brotes negativ beeinflussen. Auf der anderen Seite wird beim Kneten aber das – unbedingt notwendige – Glutennetzwerk gebildet.
Die Lösung ist die Autolyse. Denn sobald man einfach nur Mehl und Wasser gemischt hat, beginnen in dieser Mischung die erwünschten Lösungs- und Quellprozesse. Eine Autolyse von mindestens 20 Minuten, besser 1 – 2 Stunden, verkürzt deshalb auch die Knetzeit, die notwendig ist, um den Teig “auszukneten”, substantiell.
Ergebnis: der Teig muss weniger lang geknetet werden, die Oxidationsprozesse werden deutlich reduziert.
Daumenregeln:
- Die Autolyse für 550er Weizenmehl sollte mindestens 20 Minuten dauern, besser 1-2 Stunden betragen
- Je höher der Ausmahlungsgrad des Mehles, desto länger sollte man die Autolyse einplanen. Der Grund: die äußeren Schalenanteile des Weizenkorns brauchen deutlich länger um aufzuquellen als der Mehlkörper, der für das 550er Mehl verwendet wird. Für Brote mit viel Vollkornmehl sollte man mindestens 2 – 3 Stunden Autolyse einplanen
5 Brotteig kneten
5.1 Kurz zur Theorie
Das Kneten des Brotteiges ist, wie oben beschrieben, von großer Bedeutung für den Ofentrieb.
Wieso?
Erinnern wir uns an das Beispiel von der Mauer aus dem Grundlagenteil: die Gärgase sind die Steine, das Klebernetzwerk ist der Mörtel, der die Steine an ihrem Platz hält. Ist der Mörtel, also das Klebernetzwerk, von schlechter Qualität, kann der Mörtel die Steine nicht stabil halten.
Das bedeutet für den Brotteig: erst, wenn das Glutennetzwerk vollständig ausgebildet ist, kann die Fermentation effektiv arbeiten.
Konkret heißt das:
- Ist das Glutennetzwerk unterentwickelt, können die produzierten Gärgase nicht vollständig gehalten werden.
- Ist der Teig deutlich überknetet, dann ist das Kind tatsächlich in den Brunnen gefallen. Ein überknetetes Glutennetzwerk ist irreparabel.
5.2 Was bedeutet das in der Praxis?
5.2.1 Der Fenstertest
Die Lösung für das Problem ist in der Praxis erfreulicherweise ziemlich einfach: es ist der so genannte Fenstertest.
Beim Fenstertest unterbricht man den Knetvorgang, nimmt den Teig an zwei Stellen zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht den Teig auseinander. Wenn sich der Teig ohne zu reißen so stark ziehen lässt, dass sich eine dünne, nahezu durchscheinende Membran bildet, dann ist der Teig perfekt geknetet. Reißt der Teig schnell in größere Stücke, so muss er weitergeknetet werden. Reißt der Teig in viel kleine Fäden, so ist er überknetet.
Ein schönes Video, in dem alle Stufen vom unterkneteten bis zum überkneteten Teig gezeigt werden, findet Ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=Bghb_VwSdhU
5.2.2 Küchenmaschinen (Kenwood, Ankersrum etc.)
Klassische Küchenmaschinen wie z.B. von Kenwood brauchen – im Vergleich zum Thermomix relativ lange, um den Teig zu kneten. Die tatsächliche Knetzeit hängt von verschiedenen Faktoren wie z.B. von der Teigmenge, der verwendeten Mehle sowie der Teigausbeute ab.
Daumenregel
Wenn sich der Teig komplett vom Schüsselrand löst, ist der Teig ausgeknetet.
5.2.3 Thermomix
Der Thermomix knetet viel (!) schneller als die Küchenmaschinen, der Teig wird stärker beansprucht und erwärmt sich schneller. Je nach Teig kann sich die Teigtemperatur im Thermomix innerhalb von 60 Sekunden um 6 Grad (!!!) erhöhen. (Alles Wesentliche zum Kneten im Thermomix findet Ihr hier).
Daumenregel
- Für die meisten Teige reicht eine Knetzeit von 120 Sekunden im Linkslauf völlig aus
- Wenn der Teig eine Autolyse durchlaufen hat, kann er auch schon nach 90 Sekunden fertig sein. Wenn Ihr sichergehen wollt, dass Ihr den Teig nicht überknetet, macht nach 90 Sekunden und danach im Abstand von 10 (!) Sekunden den Fenstertest, bis der Teig voll ausgeknetet ist).
Weiter geht’s…
…beim nächsten Post mit dem Thema Fermentation. Es wird „bubbly“ 🙂
14 Comments
Volker
22. September 2020 at 9:36Hallo Oliver,
ein toller Beitrag. Spannend wäre es noch, wenn Du beim Thema Sauerteig und Verdoppelung das Fütterungsverhältnis angeben könntest. Sprich mit wie viel ASG arbeitest Du?
Oliver
22. September 2020 at 9:53Hi Volker,
guter Hinweis 🙂 Ich habe das Fütterungsverhältnis ergänzt.
Beste Grüße,
Oliver
Beate
22. September 2020 at 9:56Super Beitrag😊👍🍞🍞🍞
Oliver
22. September 2020 at 10:39Dankeschön 🙂
milchmädchen.
22. September 2020 at 11:19Ich schließe mich an: Schön kompkat und trotzdem fundiert & nachvollziehbar :)! Danke!
Herzlich: Charlotte
Oliver
22. September 2020 at 14:18Merci 🙂
Josef
14. Oktober 2020 at 11:24Guten Tag
Danke für den tollen Beitrag.
Sehr hilfreich
Corinna
14. Oktober 2020 at 14:02Vielen Dank. Das sind endlich mal viele grundlegende und wichtige Themen bestens verständlich und ohne Schnörkel auf den Punkt gebracht.
Oliver
15. Oktober 2020 at 13:48Liebe Corinna, lieber Josef,
vielen Dank für das Lob 🙂
Beste Grüße,
Oliver
Roland
28. Januar 2021 at 9:15Vielen Dank super Beitrag. Ich liebe es wenn es ein wenig „wissenschaftlich“ ist. Das finde ich durchwegs in Deinem Blog, fundierte nachvollziehbare Grundlagen. Bin noch nicht sehr lange auf Deinem Blog, habe aber gesehen, dass Du für mich noch viele interessante Themen hast.
Vielen Dank und beste Grüsse Roland
Roland Koller
29. Januar 2021 at 14:04Hallo Oliver
Mir ist noch etwas aufgefallen. Unter Punkt 3.2 Hefe schreibst Du: Daumenregel 1% Hefe also 10g für ein Kilo Teig reichen. Bin grundsätzlich gleicher Meinung, nehme aber an Du meinst Frischhefe und verlängerst dafür die Garzeit.
Beste Grüsse Roland
Oliver
29. Januar 2021 at 21:21Hallo Roland,
ja, ich meine Frischhefe. Bei 1% gären die Teige bei Raumtemperatur sogar ziemlich schnell durch.
Führt man den Teig lang und kalt, z.B. über Nacht, kann man die Hefe nach meiner Erfahrung auf 2 -3 Gramm auf 1 Kilo Teig reduzieren.
Viele Grüße,
Oliver
Hermann
8. Juni 2023 at 20:45Hallo Oliver,
deine beiden Ausarbeitungen über den Ofentrieb habe ich mit großer Aufmerksamkeit gelesen. Wie komme ich jetzt an den dritten bis fünften Teil?
Hermann
Oliver
9. Juni 2023 at 9:25Hallo Hermann,
die muss ich tatsächlich noch schreiben 🙂
Ich befürchte, dass wir eher Herbst werden.
Viele Grüße,
Oliver