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Geschmack – also süß, sauer, salzig, bitter, umami und fett – ist das Fundament des Essens.
Die Aromen bilden das Gebäude darüber.
Ob es beim Essen langweilig zugeht oder „zäng – bumm – peng“ macht, bestimmen überwiegend die Aromen.
Man nimmt an, dass der Duft – also die Aromen – mindestens achtzig Prozent unserer Wahrnehmung von Essen ausmachen.
Der unnachahmlich würzig-frische Geruch reifer, frisch gepflückter Erbsenschoten, der iodig-meeresbriesige Geruch guter Austern, perfekt reifes Basilikum – Aromen gehen durch die Nase direkt ins Hirn und lassen die Synapsen Samba tanzen.
Selbst ungeborene Kinder kommen bereits mit Aromen in Kontakt.
Menschen nehmen Aromen schon in der Gebärmutter wahr: bereits elf Wochen nach der Empfängnis hat der Fötus im Mutterbauch ein so genanntes „olfaktorisches Ephitelium“ entwickelt. Damit kann er Gerüche derjenigen Aromen wahrnehmen, die die Mutter zu sich nimmt. Und es ist wahrscheinlich, dass das Baby später Präferenzen für genau diese Aromen entwickeln wird (vgl. Blumenthal, 2008, S. 463ff.).
Aromen sind in ihrer Wirkung kaum zu überschätzen.
Was sind Aromen?
Die Welt der Aromen ist um ein Vielfaches komplexer und unklarer als die der Geschmäcker.
Zum einen ist die Zahl bekannter Aromen dramatisch höher als die der Geschmäcker.
Man nimmt an, dass der Mensch um die 10.000 verschiedenen Gerüche auseinanderhalten kann (vgl. Blumenthal, 2011, S. 14).
Zum anderen existiert keine, auch nur annähernd, vollständige Dokumentation oder Kartographie der Aromen.
Es gibt zwar Aromen-Räder für Käse und Wein. Die erfassen jedoch nur einen winzig kleinen und damit mehr als unvollständigen Ausschnitt gängiger Aromen.
Wie nehmen wir Aromen war?
Schlimm genug, dass wir über die Aromen selber kaum Bescheid wissen. Auch die Frage, wie die Informationen über Aromen in unserem Gehirn landen, ist bisher wissenschaftlich nur unvollständig geklärt.
Sicher ist, dass die Nase ins Spiel kommt.
Das kann man leicht nachprüfen, indem man sich die Nase zuhält und blind versucht, pürierten Apfel von pürierter Birne oder Kirsche zu unterscheiden.
Wie schwer das, rein auf dem Geschmack basierende, Erkennen eines Lebensmittels oder eines Gerichtes ist, hängt in erster Linie davon ab, wie intensiv der Geschmack des Lebensmittels ist und wie einzigartig es durch eben diesen Geschmack charakterisiert wird.
Kaffee ist aus diesem Grund zum Beispiel durch seine ausgeprägte Bitternote kaum zu identifizieren, denn es ist kaum möglich ihn von ähnlich bitteren Lebensmitteln wie dunkler Schokolade oder Tee zu unterscheiden.
Kaffee schmeckt ohne Nase einfach nur bitter.
Die Grafik visualisiert, wie gut wir Lebensmittel erkennen können, wenn wir ausschließlich unsere Zunge als Informationsquelle verwenden. Dabei ist 100% die Wahrnehmung mit Einsatz der Nase. Die Balken in der Grafik zeigen auf dieser Basis, wie viel wir ohne Riechen schmecken.
Zitrone und Essig sind aufgrund der hohen, jeweils typischen Säure relativ leicht erkennbar. Wein, vermutlich aufgrund der Tannine, auch.
Kaffee, Knoblauch, Aprikose und Schokolade dagegen sind kaum zu identifizieren.
Erstaunlicherweise ist Wasser im Vergleich sehr leicht auszumachen. Warum das so ist, weiß man nicht.
Wie funktioniert die Wahrnehmung von Aromen?
Aroma wird im Wesentlichen „retro-nasal“, also über die Verbindung zwischen Mundhöhle und Nase wahrgenommen.
Zusätzlich nimmt die Nase Aromen über die während des Essens ausgeatmete Luft war. Wie genau die Wahrnehmung funktioniert, ist Objekt wissenschaftlicher Spekulationen.
Sicher ist jedoch: riechen wir an etwas, z.B. an einer Rose, nehmen wir die Quelle als extern wahr. Fließen die Gerüche beim Essen aber am olfaktorischen Epithel (s.o.) vorbei, erkennt sie das Gehirn als Aroma – und eben nicht als Geruch.
Eine spannende Frage ist in diesem Zusammenhang, wieso viele Menschen den Geruch von stark gereiftem Käse als unangenehm wahrnehmen, den Geschmack, der auch über die Nase wahrgenommen wird, aber mögen.
Was geht das alles den Koch an?
Aromen interagieren. Man nimmt sie beim Essen nicht einzeln sondern gemeinsam wahr.
Dabei bewegt sich jedes Gericht in einem Spannungsfeld zwischen vier Polen, die sich zwar nicht grundsätzlich gegenseitig ausschließen, die es jedoch jeweils umso schwerer haben, je stärker die anderen ausgeprägt sind:
- Klarheit
- Intensität
- Balance
- Komplexität
Von der riesigen Herausforderung, diese vier Ausprägungen übereinander zu bekommen, können alle Weinfreaks dieser Welt ein Lied singen: denn es gibt im Bereich der anspruchsvollen Weine zwar viele konzentrierte Wuchtbrummen, balancierte Schönheiten und komplexe Intellektuelle – alles gemeinsam zu erleben ist jedoch ein seltener Glücksmoment.
Klarheit
In der anspruchsvollen Küche gilt es als nobelstes Ziel, seit der Nouvelle Cuisine auch offiziell formuliert, den Charakter, also das natürliche Aroma der Grundzutaten bestmöglich zu erhalten und herauszuarbeiten.
Eine Erbse soll so klar und so intensiv wie möglich nach Erbse schmecken.
Fertig.
Dieser Anspruch macht für die Alltagsküche ebenso viel Sinn. Es ist demnach günstig, den Verlust von natürlichen Aromen im Zubereitungsprozess sowie das Auftreten von Verfälschungen so gering wie möglich zu halten.
Intensität
Grundsätzlich ist es eine feine Sache, die Aromen in möglichst großer Intensität aus dem Grundprodukt „herauszukitzeln“.
Damit ist jedoch keineswegs gemeint, dass mehr Intensität immer besser ist.
Denn: je intensiver einzelne Bestandteile eines Gerichtes, desto schwerer haben es Komplexität und Harmonie.
Es ist erstaunlich, wie schnell ein Aroma das andere dominieren kann. Die Intensität steht immer im Wettbewerb mit der Balance – beim Essen wie beim Wein.
Wer sich jemals an Gerichten mit mehr als drei Komponenten versucht hat, der weiß, wie unglaublich hart in vielen Sterne-Küchen gearbeitet werden muss, um komplexe Gerichte mit vielen, intensiven Komponenten in der Balance zu halten.
Balance
Balance ist von allen drei Eigenschaften am schwierigsten zu beschreiben. Balance meint, dass kein Aroma das andere dominiert und alle Aromen gemeinsam in Harmonie zusammen stehen.
Vielleicht hilft ein Vergleich mit der Kunst: wenn man sich ein Bild anschaut und kein Element ins Auge springt, ist das Bild harmonisch. Daran merkt man jedoch auch die Gefahr: Balance kann zu Langweile führen.
Perfekter, harmonischer Schönheit fehlt die Spannung.
Komplexität
Ähnlich wie beim Wein ist Komplexität auch im Essen absolut erwünscht.
Komplexität macht das Essen spannend und – wenn alles gut läuft – bis zum letzten Bissen interessant. Komplexität geht über das eigentliche Lecker-Sein hinaus. Sie kann gleichermaßen hedonistisch sein wie den Intellekt ansprechen. Ohne Komplexität ist ein Gericht bestenfalls lecker und nach dem dritten Bissen langweilig.
Komplexität eröffnet die Möglichkeit, durch die Kombination verschiedener Elemente in verschiedenen Dosierungen aus einem einzelnen Gericht immer wieder neue Geschmackserlebnisse zu erfahren.
Doch Komplexität kann auch anstrengend sein. Sie kann den Intellekt überfordern. Je komplexer ein Gericht, desto größer ist die Gefahr, dass die Balance auf der Strecke bleibt.
Und was bedeutet das konkret?
- Über Aromen nachzudenken ist ein spannender Ansatz, eigene Rezepte zu entwickeln. So kann man zunächst Aromen kombinieren und dann im zweiten Schritt überlegen, welche Produkte man konkret verwenden will.
- Egal ob man für Kinder das Mittagessen oder für gute Freunde ein aufwändiges Menu kocht: es lohnt sich, zwei Minuten über die Zubereitungstechniken nachzudenken und diejenige auszuwählen, die die Aromaten am besten erhält.
- Z.B. Gemüse dämpfen und nicht kochen
- Obst für Speiseeis nicht erhitzen sondern kalt zur Masse geben
- Kräuter nicht brutal niedermetzeln sondern sauber schneiden
- Trial and error: man muss es einfach ausprobieren. Beispiel: ein Karamelleis mit Meersalz ist köstlich. Das Salz hebt das Karamell-Aroma und lässt das Eis komplexer und spannender erscheinen. Der Akkord ist, trotz der widersprüchlich wirkenden Kombination hervorragend. Kombiniert man das Eis jedoch mit einem intensiven Schokoladenkuchen, so erscheint das Eis in Kombination mit der Schokolade salzig und unausgewogen.
- Keep it simple: ich z.B. habe mal in einer wilden Phase versucht, mir Gerichte mit mehr als drei Hauptkomponenten auszudenken. Die Ergebnisse waren durchweg enttäuschend. Wie fast überall im Leben gilt auch hier: viel hilft nicht viel!
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