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Verändert sich die Kerntemperatur, wenn man Fleisch ruhen lässt?

Jein!

Brät man ein Steak bei großer Hitze von beiden Seiten gut an, nimmt es bei vermeintlich idealen 54 Grad Kerntemperatur aus der Pfanne und lässt es zehn Minuten ruhen, so wird man beim Servieren in lange Gesichter schauen: denn das Fleisch ist nicht rosa sondern bestenfalls grau-rosa.

Wieso?

Entfernt man ein Gargut, z.B. das erwähnte Steak, von der Hitzequelle, so gart das Produkt fast immer nach.

Dieses Phänomen nennt man „Carryover-Effekt“.

Der Carryover-Effekt sorgt dafür, dass die Kerntemperatur des Steaks nach dem Ruhen nicht bei den idealen 54 Grad liegt sondern deutlich höher, nämlich zwischen 57 oder 58 Grad.

Das 1 x 1 der Hitzeübertragung

Hitze wird mittels Konvektion und Konduktion übertragen.

Das bedeutet: zum einen wird die Hitze von der Hitzequelle, z.B. den Backofenwänden, zum Gargut hin transportiert. Das ist die Konvektion.

Zum anderen muss die Hitze in das Gargut hinein, mittels Konduktion. Und Konduktion dauert.

Nimmt man also ein Steak aus der Pfanne oder eine Lammkeule aus dem heißen Ofen, ist die Temperatur in den Außenbereichen des Fleisches deutlich höher als in seinem Kern.

Da die Natur immer nach Ausgleich strebt, gleicht sich die Kerntemperatur während des Ruhens an.

Das heißt: die Temperatur der Außenbereiche sinkt, die Temperatur im Inneren steigt. Das passiert theoretisch so lange, bis sich die Temperatur im kompletten Produkt weitgehend angeglichen hat.

Einfach formuliert: wenn man das Fleisch ruhen lässt, wandert die Hitze in das Fleisch hinein.

Wie stark dieser Effekt auftritt, hängt wesentlich von der Hitze ab, der das Gargut ausgesetzt war. Kommt es aus der brüllend heißen Pfanne oder einem 175 Grad warmen Ofen, so ist der Carry Over-Effekt sehr deutlich zu spüren. Hat es sich jedoch zwei Stunden zuvor bei 80 Grad Niedrig-Temperatur im gemütlichen Ofen gekuschelt, so ist der Effekt kaum wahrnehmbar.

Wann ist der Carry Over-Effekt wichtig?

1. Bei Fleisch, das ruhen muss.

Nimmt man Fleisch exakt bei der gewünschten Kerntemperatur aus dem heißen Ofen (aus der Pfanne, etc.) und lässt es ruhen, dann wird die Kerntemperatur nach 10 bis 15 Minuten um 5 % gestiegen sein und damit deutlich über dem gewünschten Zielwert liegen. Ergebnis: das Fleisch ist nicht mehr perfekt rosa sondern grau.

2. Bei Fisch, der innen glasig oder roh serviert werden soll.

Brät man Lachs oder Jakobsmuscheln, so dass sie im Inneren noch glasig sind, müssen diese sofort serviert werden. Das gleiche gilt z.B. für Thunfisch, der innen roh serviert wird. Lässt man diesen Thunfisch fünf Minuten ruhen, so wird sich der rohe Teil in der Mitte deutlich reduziert haben, möglicherweise (je nach Größe des Stückes) ist er sogar ganz verschwunden.

Darüber hinaus muss man, wenn man die Kerntemperatur beim Braten berücksichtigt, eine niedrigere Temperatur anpeilen als die Zieltemperatur. Will man einen Fisch mit 50 Grad Kerntemperatur servieren und wählt die Methode „Braten“, also hohe Hitze, erreicht der Fisch mit einer Temperatur von 55 Grad den Tisch, wenn man ihn bis 50 Grad brät. Man muss ihn bis 45 Grad braten. Dann hat der Fisch ideale 50 Grad haben, wenn er auf dem Tisch steht (vgl. Blumenthal, 2012, S. 170).

3. Bei Gemüse.

Gemüse ist kritisch. Der Übergang von „perfekt gegart“ zu „verkocht“ vollzieht sich schnell. Kocht man Gemüse perfekt gar, entfernt es von der Wärmequelle und lässt es liegen, so sorgt der Carryover-Effekt für ein graues, unansehnliches Ergebnis. Geschmack, Textur und Optik leiden. Aus diesem Grund muss Gemüse, das nicht sofort serviert wird, unbedingt in kaltem, optimalerweise in Eis-Wasser, abgeschreckt werden. Dadurch wird der Garvorgang unterbrochen.


Weiterführende Links:

Eine in jeder Hinsicht erschöpfende Abhandlung zum Thema „Filet braten“ incl. Ruhen lassen gibt es bei Aurant.

Zum Ruhen im Allgemeinen die Sonntagsfrage von vergangener Woche.


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1 Comment

  • Reply
    Niedertemperaturgaren: was es kann und was nicht - cookin'
    23. September 2015 at 8:25

    […] Warum das Ruhen lassen essentiell wichtig ist, könnt Ihr hier nachlesen. […]

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