Reisen

Marokko (2/2): von der Sahara nach Essaouira

Der Treffpunkt für das Chebbi Camp ist ein unscheinbares Haus am Rande von Merzouga.

Der Empfang ist herzlich, wir kriegen Tee und können uns ausruhen. Es gibt sogar Räume mit Betten, in denen man die Zeit bis zur “Abfahrt” mit einem Schläfchen überbrücken kann.

Es ist mittlerweile gute 35 Grad heiß. Das Kicken, das ich dem kleinen Mann heute Morgen vor der Abfahrt naiverweise versprochen habe, dauert keine 10 Minuten und endet mit einem freundschaftlichen Unentschieden sowie dem zügigen Rückzug in die etwas kühleren Räumlichkeiten.

Kurz nach 17 Uhr geht es los: das Gepäck kommt auf den Jeep, die Kamele werden gesattelt, wir steigen auf und reiten Richtung Dünen. Natürlich ist das alles furchtbar touristisch, aber das ist uns völlig schnuppe, denn es macht Spaß und wir fühlen uns schon ein bisschen wie Lawrence von Arabien…

2.1 In der Sahara

Die Sahara ist – so klischeehaft das klingen mag – tatsächlich ein magischer Ort. Spätestens, wenn die Stadt Merzouga aus dem Blickfeld verschwunden ist, fühlt man sich wie inmitten eines unendlichen rot-goldenen Meeres aus Sand, dessen Konturen und Linien so ästhetisch ansprechend verlaufen, als ob sie ein höheres Wesen allein zu unserem Wohlgefallen entworfen hätte.

Es ist – bis auf unsere eigenes Geplapper – völlig still.

Kurz vor Sonnenuntergang steuern die Kamelführer eine hohe Düne an. Wir steigen ab, klettern die Düne hoch und genießen den phantastischen Sonnenuntergang. Wir ziehen die Schuhe aus und spüren den feinen, warmen Sand unter den Füßen. Ein großartiges Erlebnis – auch wenn es grundsätzlich schlauer ist, in der Sahara die Schuhe anzubehalten.

Doch dazu später.

Dann geht es weiter ins Camp. Die Dämmerung setzt ein, überall brennen Kerzen und Lampen. Die Zelte sind in einer Senke zwischen hohen Dünen aufgebaut.

Das sieht alles schon ganz schön schön aus.

Nach dem üblichen Pfefferminztee geht es in die Zelte, die weniger mit klassischen Zelten als mit luxuriös ausgestatten Hotel-Zimmern gemein haben. Große Betten, Badezimmer inkl. Dusche und Toilette, Licht und Strom – alles da. Nur WLAN gibt es nicht – Gott sei Dank 🙂

Zum Abendessen werden die Tische aus dem Gemeinschaftszelt auf den Platz zwischen den Zelten geräumt. Es ist sehr gemütlich, sehr romantisch und sehr dunkel. Man braucht ein wenig Gottvertrauen, denn viel sieht man von dem nicht, was man sich auf die Gabel lädt. Das Essen ist in Ordnung aber ganz sicher nicht die große Stärke des Camps. Muss es auch gar nicht, denn das Camp ist wunderschön und der Sternenhimmel geradezu atemberaubend.

Nach dem Essen machen die Service-Jungs erst original-marokkanische Musik und sich im Anschluss einen Spaß daraus, die Gäste mit sanftem Druck zum Absingen typischer Lieder aus ihren jeweiligen Heimatländern zu bewegen. Das lockert die Atmosphäre – zumindest für uns – ziemlich auf. Mir ist nach meiner Zeit in diversen Pekip-Gruppen sowieso gar nichts mehr peinlich. Und so schmettern meine Frau und ich zur, leidlich taktvoll geschlagenen, Trommel die wahrscheinlich grauenhafteste Version von “Über den Wolken”, die die armen Tiere der Sahara jemals ertragen mussten. Wir ernten satten Applaus und sind hochzufrieden.

Nachts stehen für die Camp-Bewohne auf den umliegenden Dünen Stühle und Tische sowie eine, aus einem Ölfass gebaute, Hollywood-Schaukel bereit um den Sternenhimmel zu genießen. Das ist alles große Klasse und wir fallen nach ausgiebigem Bestaunen der Milchstrasse glücklich ins Bett.

Am nächsten Morgen reift zum ersten Mal die Erkenntnis, dass die Sahara vielleicht doch nicht der große Kinderspielplatz ist, für den wir sie Gestern noch gehalten haben. Denn in der Nacht ist eine Frau aus einem der Nachbarzelte von einem Skorpion gestochen worden, der in einem der Teppiche vor dem Zelt gesessen hatte. Klein und gelb war der und, nach einer ersten Recherche auf Google, ziemlich giftig. Trotz sofortiger, nächtlicher Fahrt ins Krankenhaus mit ausführlicher medikamentöser Behandlung sieht die Arme ziemlich zerstört aus. Wir beschließen, in Zukunft unsere Schuhe anzubehalten und etwas aufmerksamer zu sein. 

Außerdem stellt sich an diesem Morgen die Frage, was wir mit dem Tag anfangen sollen. Es stellt sich nämlich heraus, dass das Camp üblicherweise nur für eine Nacht gebucht wird und man tagsüber gar nicht im Camp bleiben kann – es wird schlicht und einfach zu heiß. Wir sind kurzfristig etwas irritiert.

Diese Irrtitation hält aber nicht lange vor, denn, wie bei allen Unterkünften zuvor (und übrigens auch danach), gibt es auch hier einen guten Geist, der sich unserer annimmt. In diesem Fall ist es der Camp-Leiter, der zwar den größten Teil der Nacht im Krankenhaus verbracht hat und deshalb ein bißchen übernächtigt ist, uns aber dennoch flugs den Tag mit einer Selbstverständlichkeit organisiert, als würden solche Sonderaufgaben explizit in seinem Arbeitsvertrag stehen: während er die anderen Gäste mit dem Jeep zurück nach Merzouga fährt, düsen der kleine Mann und ich auf Snowboards die Dünen runter. Danach fährt er uns gegen Mittag quer durch die Wüste in ein herrliches Restaurant mit köstlicher Berber-Pizza, wartet dort geduldig, bis wir uns die Bäuche voll geschlagen haben und bringt uns dann nach Merzouga in ein schönes Hotel, wo wir den Tag am Pool verbringen dürfen. 

Die zweite Nacht im Wüsten-Camp ist fast noch ein bisschen schöner als die erste. Der Sternenhimmel ist noch ein bisschen klarer, die Weite des Weltalls leistet romantischen Gefühlen kräftig Vorschub und wir sind ganz bei uns. Nur das Hinterteil schmerzt ein wenig vom Kamelreiten und ich bin sehr froh, dass wir uns dafür entschieden haben, am nächsten Morgen nicht auf dem Kamel sondern auf dem Toyota zurück nach Merzouga zu reiten.

2.2 Von Merzouga nach Agdz

Die Fahrt von Merzouga nach Agdz geht, für marokkanische Verhältnisse, relativ zügig. Die Straßen sind gut ausgebaut, teilweise 4-spurig und die Zahl der Dörfer auf dem Weg hält sich in Grenzen. Agdz ist ein quirliger Ort mit gut 11.000 Einwohnern. Die Stadt ist vor allem ein guter Ausgangspunkt für Fahrten in die nahe gelegene Wüste. Da wir gerade aus der Wüste kommen und es immer noch sehr heiß ist, beschließen wir, die anderthalb Tage (wie haben zwei Übernachtungen) in unserer wunderbaren Unterkunft zu genießen, der Kasbah Azul. Das, im landestypischen Stil erbaute, Haus liegt in einem phantastischen Garten. Palmen und Granatapfel-Bäume spenden den dringend benötigten Schatten, jede Menge blühende Pflanzen sorgen für die tonnenweise Ästhetik. Es ist einfach wunderschön.

Die pure Schönheit dieses Plätzchens Erde ist nur zu toppen durch die Freundlichkeit und Herzlichkeit der Gastgeber. Service kann man vielleicht anders machen, besser aber nicht. Zum Pool-Service gehören regelmäßige kleine kulinarische Aufmerksamkeiten wie eiskalte Melone, Tee und selbst gebackene Madeleines.

Das Abendessen wird am Pool angenommen und ist ebenso spitze wie das Frühstück. Der Service ist aufmerksam, authentisch und herzlich. Der Wäscheservice arbeitet schnell und geht, wie sich bei der Endabrechnung herausstellt, aufs Haus. Selten haben wir so vollendete Gastgeberschaft erlebt.

Agdz selber ist nicht spektakulär und vielleicht eben deshalb ein guter Ort, um sich einfach mal unter die Leute zu mischen. Das tun wir auch erfolgreich: meine Frau inspiziert mit dem kleinen Mann den lokalen Markt während ich mir beim Friseur eine Temperatur-kompatible Frisur verpassen lasse, die trotz quasi-totaler Sprach-Barriere ziemlich ordentlich gerät. Die Familie hat währenddessen einen Händler aufgetan, der tatsächlich mit einem Lehrer aus unserem Nachbarort befreundet ist. Das Hallo ist groß, wir trinken – wie sollte es anders sein – Tee und erzählen was die Sprachbarriere zulässt.

Unser einziger kleiner Ausflug an dieser Station ist die Kasbah Des Caids Du Mezguita. Die ist uralt, ziemlich rudimentär aber sehr interessant, denn eine kleine Führung durch die Kasbah zeigt, wie kongenial es die Bauherren verstanden haben, alleine durch die Bauweise die Temperaturen in den Häusern erstaunlich erträglich zu halten.

2.3 Von Agdz nach Taroudannt

Die Fahrt von Agdz nach Taroudannt dauert länger als gedacht. Und es stellt sich als Fehler heraus, dass wir für unsere Unterkunft in Taroudannt nur eine Übernachtung eingeplant haben, denn die Villa Talaa ist ein Ort, der einen längeren Aufenthalt mehr als verdient hätte. Die Villa Talaa ist eine wunderschön angelegte, Fort-ähnliche Anlage, die nahezu hoch-herrschaftlich ausgestattete Räume, einen tollen Garten und jede Menge Ecken bietet, bei denen man sich im Museum wähnt.  Für den nächsten Besuch ist hier definitiv mehr Zeit einzuplanen, zumal Taroudannt vom Vorbeifahren sehr spannend aussieht.

2.4 Von Taroudannt nach Essaouira

Der Weg von Taroudannt nach Essaouira führt durch Agadir. Wir haben nur Schlechtes von der Stadt gehört, die in den Sechziger Jahren nahezu vollständig von einem Erdbeben zerstört und im Anschluss eher funktional wieder aufgebaut worden ist. Also lassen wir sie links liegen und fahren an der Küstenstraße weiter Richtung Essaouira. Auf dem Weg durchqueren wir unter anderem das Zentrum der marokkanischen Arganöl-Produktion. An der Strasse bieten unzählige Händler Öl und Honig an. Die waren Schätze scheinen aber in den Läden zu finden zu sein, die vereinzelt rechts und links der Strasse liegen. Die probierten Öle dort sind zwar teurer aber erheblich aromatischer als bei den Händler an der Straße.

Nach knapp fünf Stunden fahrt kommen wir in Essaouira an, der windigsten Stadt Afrikas. Die Altstadt ist UNESCO-Weltkulturerbe.

Wir haben eine Wohnung in der Altstadt an vorderster Front mit Blick aufs Meer. Der Vermieter, Jacks Apartments, hat ein ganzes Portfolio an Wohnungen im Angebot. Wir haben die Wohnung Nummer 3 mit einem herrlichen Blick aufs Meer und einer Terrasse, von der aus man den Möwen im wahrsten Sinne des Wortes auf Augenhöhe begegnen kann. Preis für die Lage ist ein gleichermaßen enges wie steiles Treppenhaus, für das man ein bis zwei Semester „Koffertragen für Fortgeschrittene“ studiert haben sollte.

Nach den vielen überaus herzlichen Begegnungen im Inland wirkt Essaouira deutlich geschäftsmäßiger. Leidenschaft und Herzlichkeit sind ein Stück weit einer nüchternen, bisweilen kühlen Geschäftsbeziehung zwischen Touristen und Tourismus-Industrie gewichen. Das ist bedauerlich aber aufgrund der Größe des Ortes und den – im Vergleich zum Inland – deutlich höheren Touristenzahlen wahrscheinlich unvermeidbar. Vermutlich muss man sich eher darüber freuen, dass es nicht schlimmer ist. Denn seit Jimi Hendrix und andere Show-Größen in den Sechzigerjahren Essaouira für sich entdeckten, gilt die Stadt als beliebtes Individual-Reiseziel. Das mag auch mit dem ständigen Wind zu tun haben, der die Stadt für klassische Pool- und Strand-Touristen eher unattraktiv macht.

Essaourira hat einen sehr wuseligen und interessanten Fischereihafen, eine beeindruckende Altstadt sowie eine massive Burgmauer, die Assoziationen an St.  Malo in der Bretagne wach ruft. Die kilometerlangen Strände in der näheren und weiteren Umgebung sind ein Traum für Surfer und Kiter. Zum Baden ist das Wasser etwas frostig, Sandburgen-Bauen funktioniert am besten an geschützten Plätzchen, denn der Wind ist tatsächlich relativ heftig.

2.5 Über Marrakesch nach Hause

Der Weg von Essaouira nach Marrakesch führt uns über einen sehr traditionellen Berber-Markt, an dem es nahezu alle vorstellbaren Produkte und Dienstleistungen gibt, inklusive ganzen Kamelen und einem Spezialanbieter für frische Schafsköpfe. Wir schauen uns ein halbes Stündchen um und fahren dann weiter in das bereits bekannte Industriegebiet von Marrakesch um unser Auto zurückzugeben. Das funktioniert alles prima, bis wir unseren Vermieter bitten, uns ein Taxi in die Innenstadt zu besorgen. Das will nicht klappen, denn es ist Sonntag und Ramadan und die Taxi-Zentralen von Marrakesch scheinen gerade alle ein Nickerchen zu machen.

Doch, wie so häufig auf unserer Reise, entpuppt sich das vermeintliche Problem als bereits gelöst. Unser Autovermieter entscheidet kurzerhand, dass er uns selber in die Innenstadt fährt. Und auf unsere Frage, was der Service denn kosten solle, winkt er nur ab, lächelt und antwortet: „nothing“.

Wir wohnen die letzte Nacht in einem sehr schicken Riad, den wir allerdings aufgrund vereinzelter Personalprobleme nicht uneingeschränkt empfehlen können.

Schwamm drüber.

Mitten in der Nacht geht es mit dem Taxi zum Flughafen, denn die Maschine nach Köln fliegt sehr (!) früh am Morgen. Und als wir müde aber übergkücklich über einen so wunderschönen Urlaub unsere Koffer abgeben, ahnen wir noch nicht, dass Marokko noch ein weiteres zwischenmenschliches Highlight für uns bereit hält: denn als wir bereits am Gate sitzen und auf das Boarding warten, kommt eine Flughafenangestellte auf uns zu und beginnt auf französisch auf uns einzureden. Nachdem unsere Französisch-Kenntnisse bekanntermaßen jeder Beschreibung spotten, dauert es eine Weile, bis wir in der Lage sind, aus den Wörtern „le petit“ und „vert“ einen Sinnzusammenhang abzuleiten. Es stellt sich zum einen heraus, dass der kleine Mann seinen heißgeliebten grünen Kuschelfrosch im Duty Free-Bereich abgestellt und vergessen hat. Und zum anderen beginnen wir zu verstehen, dass diese liebe Frau ihn offenbar mit dem Frosch gesehen, etwas später den einsamen Frosch gefunden hat und dann durch den halben Flughafen getigert ist, um den Frosch und seinen rechtmäßigen Besitzer wieder zusammenzubringen.

Wir sind sehr gerührt, bedanken uns und steigen mit dem guten Gefühl in den Flieger, dass wir in Marokko gut aufgehoben sind und dass wir ganz sicher und gerne wiederkommen werden.

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1 Comment

  • Reply
    Bastel
    21. Juli 2018 at 22:18

    Und noch ein toller Bericht. Ich könnte gern noch mehr lesen! Vor allem finde ich die immer dazu passenden Links toll. Danke für die unterhaltsame Zeit hier. Liebe Grüße von Bastel

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