Reisen

Japan kulinarisch (2/2) – von Takayama nach Kyoto

Takayama – Fermentieren für Fortgeschrittene, Präzisionsgrillen Teil II, Wagyu-Beef

Unsere nächste Station ist Takayama. Das Örtchen liegt malerisch in den japanischen Alpen und ist unter anderem bekannt für seine Altstadt, diverse historische Dörfchen in der Umgebung sowie für zwei Frühmärkte, auf denen man sich mit unzähligen Köstlichkeiten versorgen kann.

In Takayama haben wir Glück mit der Kirschblüte. Von der hatten wir in Tokio nur Reste mitbekommen. Ich bin wirklich kein großer Blumen- und Blüten-Fan  – solange sie nicht essbar sind. Aber die Kirschblüte in Japan ist selbst für mich eine tief-emotionale, bewegende Erfahrung.

Doch zurück zur Kulinarik.

Die Frühmärkte und die wunderschöne Altstadt von Takayama sind ein Paradies für Fans von eingelegtem Gemüse, Soja-Saucen und Miso-Pasten. Dutzende von Geschäften bieten eine unglaubliche Vielfalt dieser Produkte an.

Dabei fällt zunächst auf, dass nahezu alle Produkte aus dem Ort oder der näheren Umgebung kommen. Diese, konsequent gelebte, Regionalität ist dabei offenbar völlig selbstverständlich. Niemand kommt auf die Idee, das per Marketing auszuschlachten. Man findet kein „brutal lokal“-Getöse und keine tätowierten, bärtigen Hipster-Köche, die ihre Zutaten sklavisch nur 50 Kilometer um das Restaurant herum einkaufen. Die kulinarische Identität mit ihren regionalen Eigenheiten ist vielmehr tief in der Gesellschaft verwurzelt und damit normaler Teil des Alltags.

Man könnte allein einen Tag damit verbringen, sich durch die unzähligen Miso-Pasten und Soja-Saucen in den verschiedensten kleinen Geschäften zu probieren.

Keine schmeckt wie die andere. Hinter jeder steckt eine eigene Philosophie und ein ganz spezieller Verwendungszweck. Die allerwenigsten schmecken speziell und/ oder für unsere europäischen Gaumen unangenehm.

Ganz im Gegenteil. Die allermeisten sind köstlich. Die Vielfalt der Aromen ist unglaublich, und sofort poppen in meinem Hinterkopf verschiedenste Ideen auf, was man alles mit diesen köstlichen Zutaten anstellen könnte. Unglaublich, welches Universum an Möglichkeiten hier schlummert.

Ähnlich ist es mit den fermentierten und eingelegten Produkten. Die allermeisten sind köstlich. Der Geschmack ist nahezu ohne Ausnahme ausgewogen, elegant, zurückhaltend und komplex. Gewürze werden, wenn überhaupt, nur sehr dezent eingesetzt. Am häufigsten sind Shiso-Blätter und anis-ige Gewürze. Nirgendwo findet man spitze Säure oder übertriebene Schärfe.

Auf einem der Märkte steht auch ein älterer Herr, der auf einem winzigen Grill kleine Spieße mit Hida-Beef brät. Hida, der Name der Region um Takayama, steht auch Pate für die lokale Spielart des Wagyu-Beef.

Der Mann erinnert mich frappierend an die beiden Fisch-Griller aus Nikko. Er brät das Fleisch mit einer nahezu meditativen Hingabe und Präzision: zunächst wird der Spieß für jeweils 15 bis 20 Sekunden von allen Seiten auf dem – übrigens winzigen – Grillrost angebraten. Dann wird er neben dem Rost für einige Sekunden direkt in die Flammen gehalten um im Anschluss, mit hoch-geschobener Brille, aus nächster Nähe begutachtet zu werden.

Was zunächst etwas schrullig scheint, erweist sich beim Probieren als perfektes Handwerk. Das Fleisch hat eine herrliche Kruste, tolle Röstaromen und ist perfekt medium rare.

Und zwar jedes Mal – wir waren öfter da 😉

Hier zeigt sich zum wiederholten Male eindrücklich das in Japan so häufig zu findende Streben nach Perfektion. Selbst einfachste Arbeiten werden mit größter Würde und Hingabe erledigt. Ob es der grillende ältere Herr auf dem Frühmarkt in Takayama ist, der Taxifahrer, der in jeder freien Minuten seinen Wagen auf Höchstglanz poliert oder der Busfahrer, der selbst in der dicksten Rush-Hour versucht, jeden einzelnen Gast mit einem persönlichen Dank zu verabschieden.

Hier schwant uns auch zum ersten Mal, dass wir, das Wagyu-Beef betreffend, eher Freunde der niedrigen Marmorierungsgrade sind. Denn: je höher der Marmorierungsgrad des Fleisches ist, desto höher ist auch der Fettanteil und desto milder wird der Geschmack. Denn auch wenn das Fett bei gutem Fleisch nicht ausschließlich Geschmacksträger ist, so steckt der überwiegende Anteil der Aromen doch im Muskel. Ergo: je höher der Marmorierungsgrad, desto höher der Fettanteil, desto niedriger der Anteil der Muskelfasern, desto milder der Geschmack (dieser Zusammenhang wird übrigens hier sehr gut erläutert).

Beim Recherchieren zu dem Thema stoße ich auf verschiedene Artikel, in denen die Autoren hoch-marmoriertes Wagyu-Fleisch mit Stopfleber vergleichen, einer ebenfalls sehr fettigen Delikatesse, von der selbst der größte Fan nicht auf die Idee kommen würde, sie in 250 Gramm-Stücken zu genießen. Das Fleisch auf dem Markt ist weniger marmoriert und damit geschmacklich deutlich intensiver als die in Tokio probierten Stücke.

Das andere Ende der Fahnenstange, nämlich sehr hoch marmoriertes Fleisch, gibt es auf dem Frühmarkt keine 100 Meter weiter. Dort wird nämlich an einem kleinen Stand Fleisch-Sushi verkauft: sehr dünne Scheiben Wagyu-Beef werden dazu kurz angebraten um dann, dünn z.B. mit Ponzu-Sauce bestrichen, auf Reis serviert zu werden. Die kleinen Sushi-Stücke sind köstlich. Das Fleisch schmilzt auf der Zunge, der Reis eignet sich als Unterlage ähnlich hervorragend wie für Fisch. Nur große Mengen davon zu essen ist vermutlich keine gute Idee, weder für die Brieftasche noch, bei einem Fettanteil von deutlich über 50%, für den Magen.

Kanazawa – Fisch-Paradies und Pfannkuchen

Unsere nächste Station, Kanazawa, liegt direkt am Meer. Im Gegensatz zum Tokioter Fischmarkt, auf dem die spannenden Teile – dort, wo die Ware tatsächlich gehandelt wird – nur für Profis zugänglich sind, verkaufen die Händler in Kanazawa sowohl an Gastronomen als auch an Endverbraucher. Dafür ist der Markt erheblich kleiner. Was für einen, kulinarisch mit qualitativ hochwertigem Fisch nicht gerade überversorgten, Mitteleuropäer, kein größeres Problem darstellen sollte.

Um es kurz zu machen: die Qualität der angebotenen Fische ist atemberaubend. Selbst in Frankreich habe ich ein solches Niveau in diesem Umfang noch nicht gesehen. Die Fische, die wir heute kaufen können, sind in der vergangenen Nacht gefangen worden. Die Augen aller begutachteten Fische sind kristallklar. Die Kiemen leuchten tief rot, die Fische quietschen sprichwörtlich vor Frische.

Wir essen zum Frühstück eine sehr gute Auster und eine phänomenale (!), dicke Garnele. Die Garnelen werden in Japan vorwiegend roh genossen. Eine gute Idee, wenn man Qualitäten wie diese verfügbar hat. Die Garnele ist süß, nussig und geradezu üppig cremig. Ein Traum und, mit etwas guter Sojasauce, ganz nahe an der Perfektion.

Der Markt ist ein Paradies für Köche. Frischeste Jakobsmuscheln, knall-orange leuchtende Seeigel-Zungen, riesige See-Spinnen. Es sieht einfach alles fantastisch aus. Wir beschränken uns – unser Hostel hat eine bestens ausgestattete Küche – für das Mittagessen auf sechs großartige Seezungen und eine ordentliche Portion Lotte. Wir wollen ja schließlich auch noch ein bisschen essen gehen.

Denn um den Markt herum warten dutzende Restaurants und Imbisse darauf, die frischen Produkte zu verarbeiten und ihren Gästen zu servieren. Alles, was wir dort probieren, ist excellent. Vergleicht man die Qualität der angebotenen Produkte sowie die der ortsansässigen Gastronomie in Kanazawa mit dem Angebot an den nordeuropäischen Küsten nördlich von Frankreich bis hoch zum Nordkap, so ist die kulinarischen Ödnis, die sich an der europäischen Nordsee- und Atlantik-Küste erstreckt, geradezu unfassbar. Ich möchte nicht wissen, was sich japanische Touristen denken, wenn sie sich in einem friesischen Fischgeschäft die Auslage ansehen oder an Dänemarks und Norwegens Atlantik-Küste ein Fischbrötchen bestellen. Glücklicherweise sind die Japaner höflich und behalten diese Gedanken für sich.

Dass sich diese Ödnis über Dänemark bis ins nördlichste Norwegen, mit Ausnahme einer weniger Restaurants, fortsetzt, haben wir übrigens in den letzten Wochen unseres Sabbaticals nochmal eindrücklich bestätigt bekommen. Das macht das Drama in Deutschland allerdings nicht besser.

In Kanazawa machen wir übrigens auch unsere erste Erfahrungen mit einer weiteren japanischen Spezialität: Pfannkuchen. Schon in Tokio hatten wir uns über ein Restaurant gewundert, in dem ausschließlich Pfannkuchen verkauft wurden. Zu relativ üppigen Preisen und mit dem deutlichen Hinweis, das mit einer Wartezeit von mindestens 30 Minuten zu rechnen sei.

Als wir dort an unserem letzten Tag gegen 10 Uhr vormittags nach einem Tisch fragen, bedeutet man uns freundlich, dass wir natürlich hoch-willkommen wären. Aber erst ab 17 Uhr. Bis dahin sei man nämlich ausgebucht.

An einem Wochentag!

Nachdem Tokio also nicht geklappt hatte, sollte also nun Kanazawa der Ort werden, um diesen mysteriösen Pfannkuchen auf den Grund zu gehen.

Und so mysteriös sind sie gar nicht. Denn im Prinzip handelt es sich bei den Pfannkuchen um Souffles, die in einer Pfanne ohne stabilisierende Hilfsmittel wie Förmchen, Dessertringe oder ähnliches gebacken bzw. gebraten und dann mit süßen oder herzhaften Beilagen serviert werden. Das ganze Vorgehen scheint dabei ziemlich diffizil, denn der Teig muss exakt die richtige Konsistenz haben, um einerseits luftig hochzugehen und andererseits in der Pfanne nicht zu zerlaufen. Darüber hinaus muss die Pfanne innerhalb eines, vermutlich relativ schmalen, Korridors temperiert sein, der das Eiweiß einerseits schnell genug stocken lässt und andererseits die Pfannkuchen, die relativ lange gegart werden, nicht zu dunkel werden zu lassen.

Die Pfannkuchen waren, wie man sich denken kann, sehr lecker und stehen seitdem auf meiner persönlichen Nachkoch-Agenda. Da das Gelingen aber absolut unsicher zu sein scheint und alle Internet-Seiten, die vermeintlich einfache Rezepte für diese süße Schweinereien anbieten, Fotos von nicht sehr hohen Pfannkuchen zu ihren Artikeln anbieten, rechne ich mit einem längeren Projekt und mit einem Startzeitpunkt, der in etwas so fix ist wie die Eröffnung des Berliner Flughafens.

Kyoto – Ramen, High End-Sushi und Supermarkt-Tiramisu

Kyoto und ich brauchen sehr (!) lange um warm zu werden.

Die ersten Tage ist das Wetter mies. Unsere Unterkunft liegt zwar zentral, ist aber mit “funktional“ sehr wohlwollend beschrieben. Damit fällt sie als Rückzugsort von der Hektik des japanischen Alltags komplett aus.

Und es ist „Goldene Woche“.

Der Begriff meint die erste Maiwoche, an der die Japaner traditionell einige Feiertage nutzen um, überwiegend im eigenen Land, zu reisen. Das wäre nicht weiter schlimm und war uns bei der Planung auch bewusst.

Wenn nicht ausgerechnet dieses Jahr der Kaiser abdanken würde und dieser Umstand die Goldene Woche auf zehn Tage verlängert. Damit ist über die kompletten acht Tage, die wir in Kyoto verbringen, Ausnahmezustand.

Vor den meisten Restaurants warten ab 11 Uhr vormittags Schlangen von Menschen auf Einlass. Unter einer Stunde Wartezeit geht gar nichts. An den beliebten Attraktionen ist es so voll, dass man spätestens morgens um 6 Uhr aufstehen muss um überhaupt eine Chance zu haben, den Tempel bzw. die Pagode vor lauter Menschen zu sehen. Die Schlangen an den Bushaltestellen stehen denen vor den Restaurants in nichts nach. Und der Bahnhof von Kyoto, ein 15-stöckiges Riesen-Labyrinth von Eisenbahn-Gleisen, Shopping Centern, Kaufhäusern, Hotels, U-Bahn-Linien und verschiedensten Food Courts, ist zu jeder Tages- und Nachtzeit so voll, dass das Müngersdorfer-Stadion beim FC-Spiel dagegen wirkt wie das Zentrum von Strunzenöd Nachts um Drei.

Mir wird das Ganze zu viel.

Abends, beim verzweifelten Versuch, in einem der Kaufhäuser im Bahnhof ein Toastbrot zu kaufen, finde ich den Ausgang nicht mehr, verliere die Orientierung und bekomme das erste Mal in meinem Leben so etwas wie Platzangst. Ein Kaufhaus-Bereich sieht aus wie der andere. Viele Treppen führen nach oben und nach unten. Keine führt aber zu einem Ausgang. Auch die vielen Gänge führen nur tiefer in den Bauch des Molochs hinein – aber nicht hinaus. Überall sind Menschen. An jeder Ecke steht irgendein Verkäufer um in dem unvorstellbaren Trubel sein Ware anzupreisen.

Es dauert deutlich über eine halbe Stunde bis ich wieder unter freiem Himmel stehe.

So geht es nicht weiter. Ich seile mich die nächsten zwei Tage von der Familie ab, die weiterhin tapfer Sightseeing macht, und suche mir ruhige Eckchen abseits der Touristenströme.

Auf dem Weg zu diesen Eckchen komme ich unter anderem bei einem Ramen-Restaurant vorbei, an dem eine mir wohlbekannte rote Plakette klebt: der BIB Gourmand des Guide Michelin. Mit dieser, unterhalb des ersten Sterns, für herausragende „einfache“ Küche vergebenen Auszeichnung des Micheln habe ich bereits vielfach sehr gute Erfahrung gemacht. Die Entscheidung steht also: um 12 Uhr öffnet das Restaurant, also bin ich um 20 vor 12 wieder hier. Ich will ja nicht ewig warten.

Bei meiner Ankunft gucke ich ganz schön in die Röhre: vor dem Restaurant warten bereits locker dreißig bis vierzig Gäste auf Einlass.

Darauf hätte ich auch früher kommen können, hätte ich bei meiner ersten Stippvisite das Hinweisschild am Restaurant gesehen, auf dem das Prozedere für die Warteschlange exakt erläutert wird: in Zweierreihe nämlich soll man warten und eng an der Hauswand, so dass auf dem – relativ schmalen – Bürgersteig genug Platz bleibt, dass Passanten ohne größere Probleme vorbei kommen.

Nun. Es ist so wie es ist. Also nehme ich brav meinen Platz in der Schlange ein und warte. Immerhin besser, als mich bis fünfzigtausend  Touristen, die alle für das nächst-beste Instagram-Foto posieren, um den besten Platz an der goldenen Pagode zu balgen.

Alle fünf Minuten öffnet sich die Restauranttür, einer der Köche weist die Wartenden höflich aber bestimmt darauf hin, mehr Platz zu machen und verschwindet dann wieder im Restaurant. Während meiner Wartezeit fällt mir ein weiteres sympathisches Kuriosum der japanischen Gesellschaft auf: die Wartenden werden tatsächlich streng nach ihrer Position in der Schlange eingelassen. Werden zwei Plätze frei, die nächste Position in der Schlange besteht aber aus drei Personen, so bleibt der Zweier-Tisch so lange unbesetzt, bis ein Dreier-Tisch frei geworden ist und im Anschluss auch der Zweier-Tisch besetzt werden kann.

Dieses, aus Sicht der westlichen Rendite- und Zeit-Optimierungs-Kultur, geradezu absurd ineffiziente, Vorgehen empfinde ich als sympathisch und fair.

Nach einer guten Stunde bin ich dann dran. Dass das Ganze dann doch relativ schnell geht liegt – mal wieder – an der japanischen Höflichkeit und Rücksichtnahme. Denn kein Gast bleibt länger als nötig im Restaurant sitzen. Es wird gegessen, dann wird gegangen. Denn die anderen wollen ja auch noch.

Ich bestelle Ramen mit Ei in einer Dashi auf Thunfisch-Basis (die Alternative wäre Makrele gewesen) sowie “Grade 5”-Wagyu-Beef. Trotz roter Plakette am Eingang und kostspieligem Fleisch schlägt dieses Gericht – wenn ich mich recht erinnere übrigens das teuerste auf der Karte – mit gerade mal umgerechnet 12 Euro zu Buche.

Die Nudeln und die Brühe sind heiß und köstlich.

Der eigentliche Star des Mittags ist für mich jedoch das Fleisch, das in einer sehr überraschenden Darreichungsform kommt. Denn neben der Suppenschüssel präsentiert der Kellner einen kleinen Teller mit einem braunen, glänzenden Berg, der bei Bewegung zittert wie Götterspeise. Ich bin mir zunächst nicht sicher, mit was ich es zu tun habe. Denn in der Brühe selber schwimmt auch etwas, was man auf den ersten Blick für Hackfleisch halten könnte.

Doch ein erster Bissen schafft Gewissheit. Beim wackeligen Berg handelt es sich um das Rindfleisch. Das wurde offenbar hauchdünn geschnitten und dann scharf und kräftig gewürzt angebraten. Das Resultat ist erstaunlich: das Fleisch ist knusprig und zartschmelzend zugleich. Durch die kräftige Würzung wirkt es erstaunlich rustikal im besten Wortsinne und ist damit High End-Soul Food der Extraklasse.

Zufrieden und glücklich verlasse auch ich zügig das Restaurant und mache mich auf den Weg zu meiner nächsten Station, einer Filiale der kalifornischen Kaffeehaus-Kette Blue Bottle-Kaffee. Die ist unter den Freaks hoch im Kurs und außerhalb der USA lediglich in Südkorea und Japan präsent. Meiner Erwartungen sind hoch und werden nicht enttäuscht: der Cappuccino liegt fast auf dem Niveau der Kaffee-Kreationen unseres Freundes Albert – Familien-intern die Referenz für besten Cappuccino.

Auf dem Rückweg schaue ich bei Fuji Daimaru vorbei, einem der größten und besten Kaufhäuser Kyotos. Nach meiner Erfahrung von heute Mittag ist klar was es zum Abendessen geben muss; Fleisch!

Ich entscheide mich für 118 g Kobe-Steak, mittlere Marmorierung.

Beim Kauf wieder japanische Perfektion: es gibt ein kleines Stück Wagyu-Fett zum Anbraten dazu sowie eine Gewürzmischung „Texas“, die deutlicher besser schmeckt als es der Name suggeriert. Und natürlich das obligatorische Kühlpack, das man in japanischen Kaufhäusern unaufgefordert für alle Lebensmittel bekommt, die einer lückenlosen Kühlkette bedürfen.

So soll Service sein.

Abends braten wir das ca. 1,5 cm dicke Stück jeweils eine Minute von jeder Seite an, würzen mit Salz und „Texas“ probieren.

Wir sind im Himmel.

Fleisch nicht von dieser Welt. Saftig, butterzart, dennoch spürbarer Biss, intensivster Geschmack. Und selbst meine bessere Hälfte stört es nicht, dass das Fleisch innen noch fast roh ist.

Fleisch geht vielleicht anders, besser geht es nicht.

Unser letztes kulinarisches Highlight ist ein Kuriosum – und damit vielleicht das perfekte Beispiel für den außergewöhnlichen, alles-umfassenden japanischen Qualitätsanspruch.

Wir finden es ausgerechnet im Supermarkt in Kyoto.

In Japan gibt es an nahezu jeder (zweiten) Ecke kleine Supermärkte, die die Menschen fast rund um die Uhr mit den wichtigsten Dingen des Lebens versorgen: Fertiggerichte, Bier, Soft-Drinks, Deo-Roller, Instant-Nudelsuppen, weiße Businesshemden und jede Menge mehr. Eben alles, was man so braucht, wenn die Arbeitszeiten lang sind und die verfügbare freie Zeit extrem begrenzt.

Die beiden wichtigsten Ketten sind Seven-Eleven und FamilyMart.

An einem unserer letzten Abende in Kyoto begeben wir uns also in den FamilyMart um die Ecke von unserer Unterkunft um Bierchen zu kaufen.

Da fällt unser müder Blick auf eine Batterie klassischer europäischer Desserts in der Kühltheke: Tiramisu, Panna Cotta und einiges mehr. Wer nun, wie wir, in Deutschen Supermärkten sozialisiert wurde, der hat an solche Desserts, vorsichtig formuliert, keine großen Ansprüche. Um es ganz offen zu sagen: ich liebe Tiramisu, aber ich würde nie im Leben auf die Idee kommen, im Supermarkt in Deutschland Tiramisu im Becher zu kaufen. Das wäre genauso absurd, als würde man sich als Jazz- oder Opern-Fan ein Ticket für ein Helene Fischer-Konzert anschaffen.

Nun – meine Frau ist risikofreudiger als ich. Und so landet eine Packung Tiramisu in unserem Einkaufskorb.

In der Unterkunft erwartet uns dann eine gesalzene Überraschung.

Um es kurz zu machen: dieses Tiramisu ist so sau-gut, dass wir uns ungläubig anstarren

Cremige Creme (sic!), perfekte, sehr zurückhaltende Süße, ideal mit Kaffee durchzogener Keks. Ich lehne mich mal aus dem Fenster: dieses Tiramisu aus der japanischen Kühltheke lässt locker 90 Prozent aller Tiramisus beim „Italiener“ in Deutschland meilenweit hinter sich. Und so verrückt sich das anhört: irgendwie passt es auch ins Bild. Denn so häufig hatten wir in diesem Urlaub schon den Eindruck, dass sie Japaner, wenn sie denn etwas anpacken, auch zu 100 % machen.

Oder eben gar nicht.

Neben diesen, für uns beeindruckenden Eigenarten der japanischen Kultur, bleiben auch Erfahrungen, die uns ratlos zurücklassen und die uns die Grenzen aufzeigen, die Japaner zu verstehen. Ein schönes Beispiel ist der so genannte Raindrop Cake, ein beliebtes Dessert, das  sowohl in einfachen Restaurants wie auch in der gehobenen Gastronomie zu finden ist.

Bei dem Dessert handelt es sich tatsächlich um, mit Agar gebundenes, Wasser. Götterspeise ohne Geschmack, wenn man so will. Dazu gibt es eine dunkle, Karamell-artige Sauce sowie Soja-Puder. Dieses Dessert, das allerdings keineswegs traditionell sondern erst im Jahr 2014 entwickelt worden ist, zeigt dennoch die Eigenart der japanischen Küche, neben dem Wohlgeschmack andere Faktoren wie z.B. Konsistenzen deutlich stärker zu betonen als in den westlichen Küchen.

Resümee

Japan hat mich tief beeindruckt und inspiriert.

Unsere Eindrücke abseits der Kulinarik zu beschreiben würde die Grenzen dieses kleinen Blogs sprengen. Dennoch muss ich an dieser Stelle anmerken, dass mich insbesondere der japanische Gemeinschaftssinn, die Bereitschaft eines jeden, seine Kraft und sein Potenzial in den Dienst des großen Ganzen zu stellen, tief bewegt hat. Wo bei uns viele Menschen nach persönlicher Optimierung – auch zu Lasten der Gemeinschaft – streben, hat das Kollektiv in Japan eine dramatisch höhere Bedeutung.

Immer wieder sind uns zum Beispiel ältere Menschen aufgefallen, die auf den Strassen Müll aufsammeln. Ganz offensichtlich ohne öffentlichen  Auftrag und ganz sicher ohne Bezahlung. Rund wird das Bild durch die Vielzahl von Passanten, die in dem hektischen Wirrwarr vor diesen Menschen stehen bleiben, sich vor ihnen verbeugen, und so ihren Respekt und ihre Dankbarkeit zum Ausdruck bringen.

Dieses Bild hat mir, glaube ich, auf unserer Japan-Reise, am besten gefallen.

Es ist eine gute Idee, häufiger mal an die Gemeinschaft zu denken.

Schaden wird es bestimmt nicht.

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7 Comments

  • Reply
    Andree
    25. Juli 2019 at 13:47

    Nicht nur dein bisher bester Bericht, sondern der beste über Japan überhaupt, den ich las. Ich verneige mich auch mal, und zwar vor dir!

  • Reply
    Jesse-Gabriel
    26. Juli 2019 at 0:07

    Du lebst gerade ein großen Traum von mir, danke fürs teilen!!!
    Grüße,
    Jesse-Gabriel

  • Reply
    Dirk
    30. Juli 2019 at 20:12

    Hallo Oliver,

    toller Beitrag, der die Fernweh weckt. Super beobachtet und toll geschrieben. Nachdem mein Tag mit einer unerfreulichen Begegnung mit einer extrem rücksichtslosen, Berliner Autofahrerin begann, hat mir die Lektüre über den zwischenmenschlichen Umgang der Japaner den Tag gerettet. Und mit folgendem grandiosen Satz sprichst du mir aus der Seele: „Man findet kein „brutal lokal“-Getöse und keine tätowierten, bärtigen Hipster-Köche, die ihre Zutaten sklavisch nur 50 Kilometer um das Restaurant herum einkaufen.“ Genau. Und bei Pinterest hieße es dann „das beste, authentischste Food, das du je essen wirst“. Da wird auch gern mit dem Superlativ um sich geworfen.
    Ich freue mich auf neue Berichte und Beiträge von dir!
    Lieber Gruß,
    Dirk

    • Reply
      Oliver
      13. August 2019 at 15:27

      @ Andree: ganz herzlichen Dank

      @ Jesse-Gabriel: sehr gerne!

      @ Dirk: vielen Dank für das Lob!

  • Reply
    Konrad Forster
    15. August 2019 at 20:28

    ein wirklich toller Bericht. Ich musste etwas lächeln da es Dir genauso ging wie mir vor 15 jahren als Du nicht mehr aus dem Kaufhaus rausfandest. Damasl hatten alle Verkäufer Badges an ihrer Schürze “ May I help you“ aber absolut keiner verstand auch nur ein Wort English als ich nach dem Ausgang fragte..

  • Reply
    Hedy
    8. Dezember 2021 at 12:49

    Hallo Oliver,
    da die Coronazeit mich zum Home Office verdonnert hat und ich eigentlich schnell mal zwischendurch nur ein Rezept fürs brotbacken suchte, bin ich bei diesem wundervollen Japan-Reisebericht kleben geblieben. Es war ein Genuss ihn zu lesen, ich fühlte mich fast mittendrin und konnte beinahe die köstlichen Speisen schmecken, so gut hast du es beschrieben. Danke das du uns an deinen Reisen teilhaben lässt. Ich plädiere auch dafür regionale Lebensmittel einzukaufen, denn auch Deutschland hat köstliche Lebensmittel und weil es die nicht an jeder Ecke gibt, habe ich diesen Sommer zum ersten Mal selbst Gemüse angebaut. Der Geschmack selbst angebauter Tomaten hat mich vom Hocker gehauen. Der Unterschied zu den gekauften Tomaten…… da liegen Welten dazwischen. Der Grünkohl steht noch im Garten, wir warten auf den ersten Frost um ihn zu ernten. Rote- und gestreifte Bete, Möhren, Weiß- und Rotkohl warten auch noch darauf geerntet zu werden. Nun haben wir uns auch noch Hühner angeschafft, damit wir uns mit eigenen Eiern und Fleisch versorgen können. Es schmeckt einfach besser als aus dem Supermarkt und ich hoffe dazu hier bei dir kerative Rezepte zu finden.

    • Reply
      Oliver
      9. Dezember 2021 at 15:33

      Hallo Hedy.

      das hört sich phantastisch an. Wir haben in der Regel Tomaten, Kräuter, Paprika und Salat im Garten.

      Es ist genau wie Du schreibst: die selbst angebauten Sachen schmecken einfach viel besser.

      Viele Grüße und weiterhin viel Erfolg beim Anbauen und Kochen,

      Oliver

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