methoden & zusammenhänge

Welche Backofentemperatur ist ideal zum Schmoren?

150 Grad!

1.) Wieso ist die Frage überhaupt wichtig?

Schmoren ist eine wunderbare und deshalb sehr beliebte Gartechnik. Im besten Falle ist sie in der Lage, herrliche Röstaromen, einen reichhaltigen, intensiven Jus und saftiges, mit dem Löffel zerteilbares Fleisch zu produzieren.

Allerdings steht dem perfekten Ergebnis ein – freundlich formuliert – erhebliches Informations-Tohuwabohu entgegen.

Durchsucht man nämlich Kochbücher und das Internet nach Schmorrezepten wie Hirschgulasch, Lammkeule oder Ochsenbäckchen, so variieren Garzeiten und -Temperaturen gewaltig.

Man könnte meinen es sei völlig egal, wie lange etwas bei welcher Temperatur vor sich hin schmort.

Das stimmt aber nicht!

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Ein Prachtstück von gut 2, 5 Kilo

2.) Schmoren – wo wird es richtig gut. Das Basis-Rezept

7 Stunden Lamm, sehr frei nach Anthony Bourdain

1 Lammkeule mit Knochen (ca. 2,6 Kilo) 4 Knoblauchzehen, grob gewürfelt Salz und Pfeffer 2 kleine Zwiebeln, dünn geschnitten 4 Karotten, grob gewürfelt 1/2 Knollensellerie, grob gewürfelt 1 bouquet garni 100 – 200 ml trocknen Rotwein Teig zum Verschließen (s. oben)

1.) Eine gut Lammkeule vom Metzer des Vertrauens besorgen

Am besten lasst Ihr den Knochen vom Metzger auslösen. So könnt Ihr die Keule mit dem Knochen schmoren und den Knochen anschließend bequem entfernen um die Keule aufzuschneiden.

2.) Die Lammkeule und das Schmorgemüse anbraten

Die Lammkeule (noch nicht gesalzen und gepfeffert) von allen Seiten in einer Pfanne in etwas Olivenöl scharf und gut anbraten, dann aus der Pfanne nehmen und das Schmorgemüse anbraten.

3.) Den Schmortopf fertig machen

Den Ofen auf 150 Grad vorheizen. Das Gemüse in den Schmortopf bugsieren. Das Lamm mit Salz und Pfeffer würzen, in den Schmortopf auf das Gemüse legen und Wein dazu geben. Der Wein sollte lediglich den Boden des Bräters bedecken. Zwischen Wein und Lamm sollten mindestens 1 cm, besser 2 cm (!) Platz sein.

Den Deckel auf den Topf packen und mit Teig (200 g Mehl, 110 ml Wasser, Details s.u.) verschließen.

Den Schmortopf in den Ofen stellen und für sieben Stunden vergessen.

Die Keule im Anschluss aus dem Bräter nehmen und unter Alufolie ruhen lassen. In der Zeit den passierten Sud stark einkochen, mit Salz, Pfeffer und etwas Fruchtgelee abschmecken und mit etwas Butter binden.

Claudio von Anonyme Köche hat sich dem Rezept übrigens sehr ausführlich gewidmet. Seine Erfahrungen könnt Ihr hier nachlesen.
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Die fertige Keule – so zart, dass man sie mit dem Löffel essen kann

3.) Wieso so und nicht anders?

  1. Röstaromen bilden sich erst ab 150 Grad. Die köstlichen und überaus erwünschten Röstaromen entstehen erst ab einer Temperatur von 150 Grad – darunter findet die nötige Maillard-Reaktion nicht statt. Das bedeutet auch: wenn das Fleisch in zu viel Flüssigkeit liegt, wird es gekocht und nicht geschmort. Denn: Wasser kann maximal 100 Grad heiß werden!
  2. Unter 80 Grad kann es gefährlich werden. Bei niedrigen Temperaturen können pathogene Keime entstehen. In der Sous Vide-Technik wird diese Herausforderung mit strenger Temperatur-Kontrolle gelöst. Backöfen halten die Temperaturen aber schlecht – hier ist Vorsicht geboten. Wer sicher gehen will, schmort heißer.schmoren-1
  3. Je heißer Fleisch geschmort wird, desto schneller verliert es Flüssigkeit. Wenn Fleisch schmort, gibt es immer Flüssigkeit ab – egal, ob es bei niedriger Temperatur oder in viel Flüssigkeit geschmort (bzw. gekocht) wird. Dabei gilt: je heißer das Fleisch schmort, desto schneller geht Flüssigkeit verloren.
  4. Je länger das Fleisch schmort, desto zarter wird es (in bestimmten Grenzen). Fleisch gibt zwar beim Schmoren Flüssigkeit ab, aber: der zusätzliche Flüssigkeitsverlust wird über die Zeit immer geringer. Und noch wichtiger: mit der Zeit wird im Fleisch das feste Collagen in weiche Gelatine umgewandelt. Je mehr Collagen zu Gelatine wird, desto zarter ist am Ende das Fleisch. Das bedeutet auch: bei der Garzeit kann man sich hinten raus entspannen.
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4.) Die richtige Temperatur

Wer Schmorrezepte vergleicht, stellt fest, dass in Schmor-Rezepten überdurchschnittlich häufig 150 Grad als Ofentemperatur angegeben ist.

Und das aus gutem Grund:

Denn ab 150 Grad entwickeln sich (s.o.) die erwünschten Röstaromen. Gleichzeitig machte es keinen Sinn mit der Temperatur höher zu gehen, denn oberhalb von 150 Grad trocknet das Fleisch stärker aus. Unter 150 Grad verlängert sich die Kochzeit deutlich, ohne dass das fertige Fleisch am Ende deutlich zarter und/ oder saftiger würde.

5.) Die richtige Methode

Früher stellte man zum Schmoren einen sehr gut schließenden Topf mit dem Schmorgut und sehr wenig Flüssigkeit in einer Vertiefung im Boden auf glühende Kohlen, bedeckte den Topf von oben ebenfalls mit glühenden Kohlen und wartete ab.

So war sichergestellt, dass das Gargut von allen Seiten ausreichend und gleichmäßig Hitze abbekam und nicht in der Flüssigkeit kochte sondern – im eigentlichen Sinne – schmoren konnte.

Anbrennen kann bei dieser Methode nichts.

Wieso?

Es reicht es aus, den Boden eines dicht schließenden Bräters mit Flüssigkeit zu bedecken um das Anbrennen zu verhindern. Im Optimalfall hat das Fleisch dann keinen Kontakt zur Flüssigkeit, denn es ist auf – gerade genug – Schmorgemüse gebettet.

Der Clou: besitzt man einen dicht abschließenden Bräter, entsteht durch die Flüssigkeit des Fleisches und/ oder die wenige zugegebene Flüssigkeit eine ausreichend feuchte Umgebung, um das Fleisch vor dem Austrocknen zu schützen.

Die Feuchtigkeit bildet nämlich nicht nur eine Schutzschicht um das Fleisch. Hohe Luftfeuchtigkeit fördert auch die Umwandlung von Kollagen in Gelatine und verhindert – zumindest zum Teil – das Abgeben von Feuchtigkeit vom Fleisch in die Luft, da die Luft ja schon relativ hoch mit Wasser gesättigt ist.

Durch die höheren Temperaturen am Fleisch bildet sich eine Kruste. Außerdem findet die – erwünschte – Maillard-Reaktion nicht nur beim Anbraten sondern über den gesamten Garprozess hinweg statt. Die daraus entstehenden Aromen landen dort wo sie hin sollen: im Sud.

Das Ergebnis ist ein extrem zartes Stück Fleisch, das nicht durch zusätzliche Flüssigkeiten beeinflusst wurde und ein sehr geschmackvollerer Sud.

Wer Zweifel an der potenziellen Dichtigkeit seiner Schmor-Gerätschaften hat, der kann sich mit einem einfachen Teig behelfen, mit dem man den Bräter einmal rundherum abdichtet.

Standard-Teig zum dichten Verschließen von Schmortöpfen

200 Mehl 1 EL neutrales Öl, z.B. Rapsöl 110 ml Wasser

Mehl, Öl und Wasser mit einer Küchenmaschine oder einem großen Löffel zu einem Brotteig-artigen Teig verkneten. Damit den Bräter verschließen. Fertig!

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Damit der Teig besser hält kann man den Bräter mit etwas Wasser einpinseln

6.) Die richtige Zeit

Es gibt keine exakte Faustformel für die richtige Garzeit der verschiedenen Stücke, denn Fleisch, Ofen und Bräter können zu stark variieren. Aber: die oben beschrieben Methode ist sehr flexibel, man kann das Fleisch kaum wirklich übergaren. Für kleinere Stücke, z.B. Lammhaxen, hilft i.d.R. ein einfaches über-den-Daumen-peilen. Bei uns funktionieren z.B. 3 Stunden ganz gut.

7.) Schmoren – Zusammenfassung 

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Schmoren – weiterführende Links

Hirschgulasch mit langem Pfeffer

Das Buch „The Science of good cooking“ enthält sehr gute und vor allem praxisnahe Hintergrundinformationen. Für überdurchschnittlich Wissbegierige ist das Opus Magnum Modernist Cuisine empfehlenswert. Nach der Lektüre dürften wenige Fragen offen sein.

Physikalisch interessierte schauen zusätzlich bei Aurant.

Alle Sonntagsfragen im Überblick.


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2 Comments

  • Reply
    Muriel
    10. November 2016 at 18:46

    Wir schmoren sehr gerne als Familie mit 4 Kindern. Denn so können wir Eltern das Fleisch und Gemüse in den Topf geben und danach fast das Kochen vergessen 😉 . Die Temperaturfrage besteht aber bei jedem Rezept. Meist heisst es knapp über dem Siedepunkt. Was ist das? Dies wäre ja knapp über 100 Grad, aber hier gibt es noch die Info, dass dann die Röstaromen nicht rauskommen?
    Wichtig fürs Fleisch im Topf ist wohl auch die Gelatine, die gebildet wird.
    Ich habe gerade einen Schmortopf im Ofen und es riecht unglaublich gut! Einen guten Appetit!

    • Reply
      Oliver
      11. November 2016 at 8:30

      Liebe Muriel,

      Du hast völlig Recht: knapp über dem Siedepunkt bedeutet „oberhalb von 100 Grad“ – Röstaromen gibt es bei dieser Temperatur keine. Für alles was in viel Flüssigkeit liegt – ein Gulasch z.B. – ist diese Angabe sowieso wenig wert: denn für Wasser ist ja bei 100 Grad Schluss.

      Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die 150 Grad für nahezu alle Fleischstücke ein guter Richtwert sind. Man kann das Rezept über die Zeit dann an das jeweilige Fleisch anpassen: Haxen schmore ich z.B. deutlich kürzer als Keulen.

      Die (weiche) Gelatine bildet sich aus dem (zähen) Kollagen: hier ist vor allem Geduld gefragt. Deshalb gibt da o.g. Rezept auch 7 Stunden für die Keule an.

      Viele Grüße,

      Oliver

      P.S.: Lasst es Euch schmecken 🙂

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